Linie zwischen Sport und Tradition

von Stefan Grus

Seit 17 Jahren leitet Gerhard Furnier das Bundeskänigschießen. Diesmal fand es im niedersächsischen Wiefelstede statt, im Rahmen eines klassischen Schützenfestes, und der DSB- Vizepräsident Spart kannte sich „nicht erinnern, dass wir jemals eine so hervorragende Veranstaltung hatten“.

Beginn des Wiefelsteder Schützenfestes: Aufstellung vor dem Rathaus. Bild: Frick

Beginn des Wiefelsteder Schützenfestes: Aufstellung vor dem Rathaus. Bild: Frick

Verantwortlich für diese Glanzleistung in der Geschichte des Bundeskönigsschießens im Deutschen Schützenbund waren der Präsident des Oldenburger Schützenbundes (OSB), Peter Wiechmann, der auch Vizepräsident des Nordwestdeutschen Schützenbundes ist, OSB-Vizepräsident Friedrich Delmenhorst und Dirk Siemen, Vorsitzender des Schützenvereins Wiefelstede, mit ihren zahlreichen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern. Die Idee zur Ausrichtung des Bundeskönigschießens stammte ursprünglich vom früheren OSB-Präsidenten und jetzigen Ehrenpräsidenten Josef Rolfes, der es gerne schon zum 150-jährigen Jubiläum des Oldenburger Schützenbundes im Jahr 2012 gehabt hätte. Seinerzeit hatte Hannover mit seinem „größten Schützenfest der Welt“ den Zuschlag bekommen. Auch das war sicher eine prächtige Proklamation der Majestäten auf der Partymeile zwischen Heino und Jürgen Drews.

Trotzdem blieb die Frage, ob diesem „idealen Wettkampf, der die Verbindung zwischen Sport und Tradition im Deutschen Schützenbund wie kein anderes Ereignis sichtbar macht“, wie Gerhard Furnier das Bundeskönigschießen nannte, wirklich im Rahmen derartiger Mammutveranstaltungen die angemessene Würdigung zuteil werden kann. Denn dieses zentrale Ereignis, so der DSB-Vizepräsident Sport, dürfe nicht in der Masse untergehen. Er plädiere dafür, „mit dem Bundeskönigschießen hinauszugehen in die Vereine, in die Fläche“, dort werde die Tradition noch in ihrer ursprünglichen Form gelebt, dort genieße es die ihm gebührende Aufmerksamkeit.

Bahnbrechende Niedersachsen

Die Bewerber um die Königswürde bei der Jagd auf das beste Teilerergebnis.

Die Bewerber um die Königswürde bei der Jagd auf das beste Teilerergebnis.

Gemessen an dem schon „seit grauer Vorzeit“ über Jahrhunderte hinweg geübten Brauch des Königschießens in den alten Schützengesellschaften hat das Bundeskönigschießen im Dachverband noch eine sehr junge Tradition. Im 1861 gegründeten Deutschen Schützenbund war es ursprünglich nicht vorgesehen. Dementsprechend wurde bei keinem der 20 Deutschen Bundesschießen, die bis 1934 stattfanden, ein solcher Wettbewerb ausgeschrieben. Erst 1955, beim ersten Bundesschießen nach dem Krieg, nahm man es ins Programm auf Anregung der niedersächsischen Schützen, die sich um die Wiedergründung des Deutschen Schützenbundes 1951 sehr verdient gemacht hatten und wo die Tradition des Königschießens sehr populär ist.

Das Bundeskönigschießen sollte sich am Schweizer Vorbild orientieren und den besten der vielseitigsten Schützen – Damen waren auch zugelassen – ausfindig machen. Das bedeutete, dass mit dem Luftgewehr oder dem Zimmerstutzen aufzehn Meter, mit dem Kleikalibergewehr auf 50 Meter und mit dem Scheibengewehr auf 100 Meter jeweils eine Serie von fünf vorher anzukündigenden „Königschüssen“ abzugeben war. Zu diesen Ergebnissen wurden noch die beiden besten aus der Teilerwertung in Ringe umgerechneten Tiefschüsse mit Luftgewehr und KK-Gewehr auf die Festscheibe hinzuaddiert.

Südbadische Neuerung 1976

Der spätere Bundesjugendkönig Oswald-Christian Hentschel.

Der spätere Bundesjugendkönig Oswald-Christian Hentschel.

Bei den beiden Deutschen Bundesschießen 1961 und 1965 wurde das Königsprogramm auf je einen Tiefschuss mit dem Luftgewehr, dem Kleinkaliber- und dem Scheibengewehr reduziert. Dafür gab es 1965 auch erstmals Jugendmajestäten, einen „Schützenprinz“ oder eine „Schützenprinzessin“. In der Schweiz schießen noch heute die 50 besten Schützen, die an allen Disziplinen teilgenommen haben, um die Würde des „Eidgenössischen Schützenkönigs“. Die Distanz beträgt
300 Meter, beim letzten Eidgenössischen Schützenfest gab es ein schottisches Hochlandrind für den Schützenkönig. Auch die Verantwortlichen des Deutschen Schützenbundes hatten 1955 – ganz nah an der uralten Schützenkönigstradition – zunächst „Vieh“ oder andere Naturalien als Preis für den Bundeskönig angedacht, sich dann aber für eine zwar massiv goldene, aber noch bezahlbare Medaille entschieden.

Die Träger des Bundesreisebanners (v.li.): Clemens Tewes, Edgar Stukenborg und Guido Ziemba.

Die Träger des Bundesreisebanners (v.li.): Clemens Tewes, Edgar Stukenborg und Guido Ziemba.

Nach dem letzten Deutschen Bundesschießen 1965 in Hannover wurde auch das Bundeskönigschießen vorübergehend eingestellt. Überlegungen, in welcher Form und zu welchen Gelegenheiten der 1955 eingeführte Wettbewerb fortgeführt werden könnte, führten zu einem Ergebnis, als Mitte der 1970er-Jahre der „Große Preis des Deutschen Schützenbundes“, der jährlich als Finale eines bundesweiten Fernwettkampfs am Rand des Oktoberfestlandesschießens ausgetragen wurde, in die Krise geriet. Gleichzeitig plante der Südbadische Sportschützenverband, dem von ihm auszurichtenden Deutschen Schützentag 1976 in Baden-Baden anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Wiedergründung des Deutschen Schützenbundes eine besonders festliche Note zu geben. Seitdem war das Bundeskönigschießen in die Deutschen Schützentage integriert, seit 1976 gab es auch eine Königskette, und seit 2001 wird auch wieder ein Jugendkönig und Jugendkönigin ermittelt.

Ex-Meisterin als Königin

DSB-Vizepräsident Sport Gerhard Furnier leitet das Bundeskönigsschießen.

DSB-Vizepräsident Sport Gerhard Furnier leitet das Bundeskönigsschießen.

Zwischen den Schützentagen, die seit Göttingen 2005 nur noch alle zwei Jahre stattfinden, wurde der Wettkampf am Rand der Deutschen Meisterschaften in München ausgetragen, für 2012 bewarb sich Hannover, und in diesem Jahr wurde der Mut, „in die Fläche“ zu gehen, in Wiefelstede erstmals richtig belohnt. Auch in sportlicher Hinsicht kann sich das Bundeskönigschießen durchaus sehen lassen, wobei die Teilerergebnisse im Jugendbereich noch besser waren als bei den Erwachsenen, wie Kampfrichter Werner Marxreiter feststellte. Vor der mit Hochspannung verfolgten Siegerehrung betonte auch Gerhard Furnier noch einmal den nicht nur traditionellen Charakter der Veranstaltung: „Schließlich obliegt die
Durchführung des Bundeskönigschießens dem DSB-Vizepräsidenten Sport, und der ist ansonsten ja für die Medaillen zuständig.“

Bundeskönigin des Deutschen Schützenbundes 2014 ist Saskia Gablenz, die für den Thüringer Schützenbund antrat und mit einem Teiler von 30,6 Iris Warnecke vom Niedersächsischen Sportschützenverband (37,0) und Michael Kurringer vom Bayerischen Sportschützenbund (37,3) auf die Plätze verwies. Bundeskönigin Saskia Gablenz kommt eigentlich aus der Gegend von Reutlingen in Baden-Württemberg, studiert aber zur Zeit Biochemie in Jena. Klar, dass sie zwischen Seminar und Labor ihre Zeit am liebsten auf dem Schießstand der Privilegierten Schützengesellschaft Saalfeld a.S. von 1446 verbringt, für die sie mit dem Luft- und dem Kleinkalibergewehr an den Start geht. In der Juniorinnenklasse war sie schon Deutsche Meisterin im Liegendschießen.

Nur Eine war traurig

Majestäten 1965: Links Bundesschützenprinz Veit Schmidt, in der Mitte Bundesschützenprinzessin Margret Brandes, rechts Bundesschützenkönig Hugo Dreger. Zweiter von rechts: DSB-Vizepräsident Fritz Raddatz.

Majestäten 1965: Links Bundesschützenprinz Veit Schmidt, in der Mitte Bundesschützenprinzessin Margret Brandes, rechts Bundesschützenkönig Hugo Dreger. Zweiter von rechts: DSB-Vizepräsident Fritz Raddatz.

Auch der neue Bundesjugendkönig ist sportlich kein unbeschriebenes Blatt: Oswald-Christian Hentschel vom Sächsischen Schützenbund gewann den Wettbewerb mit einem Teiler von 21,1 vor Isabel Daferner aus Bayern (27,1) und Alexander Jurkscheit vom Schützenverband Berlin-Brandenburg (35,1). Oswald-Christian Hentschel ist 20 Jahre alt und arbeitet als Konstruktionsmechaniker in Krauschwitz. Seine sportliche Heimat ist der Weiswasseraner SV, für den er
mit Luft- und Kleinkalibergewehr 2014 drei Landesmeisterschaften und eine Vizemeisterschaft errang. Im letzten Jahr war er bereits Deutscher Mannschaftsmeister in der Juniorenklasse und 2014 tritt er in drei Kleinkaliberwettbewerben bei den Deutschen Meisterschaften an. Solange ihn seine Freundin Tina unterstützt, die sich stolz als „beigestellte Schützenkönigin“ sieht, hat er „keine Lust“ mit dem Sportschießen aufzuhören.

Von links: Der stellvertretende Bundesjugendleiter Burghard Schindler, Bundesschützenkönigin Saskia Gablenz, Bundesjugendkönig Oswald-Christian Hentschel, DSB- Vizepräsident Sport Gerhard Furnier, DSB- Vizepräsident Bildung und Verbandsentwicklung Jonny Otten.

Von links: Der stellvertretende Bundesjugendleiter Burghard Schindler, Bundesschützenkönigin Saskia Gablenz, Bundesjugendkönig Oswald-Christian Hentschel, DSB- Vizepräsident Sport Gerhard Furnier, DSB- Vizepräsident Bildung und Verbandsentwicklung Jonny Otten.

Das trifft in ganz besonderem Maß auch für Lea Nitschke zu. Sie war die einzige, die an diesem Abend etwas traurig war. Die 16-jährige Schülerin, die für die Schützengesellschaft Homburg startet und für den Schützenverband Saar im Jahr 2013 erstmalig den Titel der Bundesjugendkönigin holte, musste sich von der Königskette trennen, die sie ein Jahr lang getragen hat. Lea Nitschke schwärmt regelrecht, wenn sie von den diesen zwölf Monaten erzählt. Sie hatte unzählige
Termine als Bundesjugendkönigin, musste bei Veranstaltungen im ganzen Saarland auftreten und wurde überall bejubelt. „Auch sportlich war das mein erfolgreichstes Jahr“, sagt Lea. Sie ist Kreis- und Landesmeisterin, konnte sich für die Deutschen Meisterschaften in München qualifizieren und wurde sogar in den Landeskader berufen. Sie sprüht vor Ehrgeiz, und beim Abschied von der Jugendkönigskette tröstet es sie, dass sie vom Alter her noch ein paar Chancen hat, sie
wiederzubekommen: „Ich werde definitiv nächstes Jahr noch einmal angreifen.“

Quelle: Deutsche Schützenzeitung 9/2014, Seite 34-37